elinor

- das Dressurpferd als Giraffe

Von Widerstand und Verspannung zu Körperhaltung und Bewegung in Balance, Gelöstheit und Verbindung

 

 

Zu einem meiner Kurse kommt die junge Tierärztin Katharina mit ihrem Dressurpferd Elinor. Katharina verspricht sich von der Kursteilnahme die Lösung für ein Problem mit ihrem Pferd:

 

Elinor trägt beim Reiten nun schon seit Wochen den Hals weit in die Höhe gestreckt, wie eine Giraffe. Ihr Kopf ist dabei fast waagerecht in der Luft. Im Dressursport war das Pferd so nicht mehr einsetzbar. Und bisher hatte nichts gegen diese Haltung geholfen. Reiterin und Reitlehrerin waren mittlerweile ratlos.


Beim Vorreiten springt mir gleich der Zusammenhang von Sitz und Einwirkungsweise der Reiterin mit der Körperhaltung des Pferdes ins Auge:

Die auffällige Haltung von Elinor wird verursacht durch die Reitweise der Reiterin.

 

Katharina reitet mit dem allgemein üblichen tiefen Einsitzen bei leicht abgekipptem Becken.

Dieser Sitz wird allgemein gelehrt und man sieht ihn auf allen Turnierplätzen, bei Dressur- und GangpferdereiterInnen, und auch bei Freizeitreiter*innen. Was soll daran verkehrt sein?! …

 

Ich erkläre Katharina den Zusammenhang, damit sie gleich den Lösungsweg einschlagen kann:

 

Mit ihrem Sitz drückt sie das Pferd nach vorne-unten in die Brustwirbelsäule, was wiederum u.a. die Halswirbelsäule nach oben zwingt. Die Kopf- und Halshaltung eines Pferdes ist immer das Resultat aus seiner restlichen Wirbelsäulenhaltung.

 

Bilder: Das schwere tiefe Einsitzen drückt die Wirbelsäule des Pferdes (und die Pferdebeine) nach unten bzw. nach vorne-unten, - der Pferdehals- und Kopf geht dadurch nach oben

Bild:  Schematischer Vergleich (Rechte Abbildungen mit Einwirkung von Zügeln)

 

Aber so, wie sehr viele Reiter*innen, ist auch Katharina sich dessen nicht bewusst.

 

Und so werden die fatalen balance- und bewegungs(zer)störenden Folgen nicht durchschaut. Sehr viele der Probleme, die ReiterInnen mit ihren Pferden (oder vielmehr die Pferde mit ihren Reiter*innen) haben, rühren von daher. Sie wären so leicht lösbar.

 

Diese meist-gelehrte Sitz- und Einwirkungsweise ist eine Fehlinterpretation des wirklich stabil-flexiblen „Sitzes“, der federleicht am Pferderücken, aber in sich selbst losgelassen-stabil, pferdebegleitend und balance-anleitend ist. (mehr dazu weiter unten).

 

Natürlich wirkt sich wiederum die Hals- und Kopfhaltung auf die restliche Wirbelsäulenstellung aus. Denn so wie bei einem Mobilé, bedingt die Anordnung jedes einzelnen Skelettteils wiederum die Anordnung aller anderen Skelettbestandteile. Und wirkt somit auch unmittelbar auf den Zustand und die Funktion von Muskulatur, Faszien, Gelenken etc.

 

Der/die ReiterIn ist eine Erweiterung des Pferdekörper-Mobilés, das nun in seiner Pferd-Mensch-Gesamtheit zusammenwirkt.

 

 

 

Was muss sich also bei Elinor ändern?

 

Für besseres Verständnis müssen wir Elinor, und zum Vergleich, ein balanciertes Pferd, mit Röntgenaugen betrachten. So sehen wir die Wirbelsäule und das Zusammenspiel mit dem gesamten Skelett:

 

 

Das balancierte Pferd mit der idealen Hals- und Kopfhaltung

 

Die gewünschte Kopf- und Halshaltung, bei der der Pferdekopf gelöst am Atlas an der Senkrechten pendelt, ist nur beim folgenden balancierten Skelett des Pferdes verspannungsfrei und schlüssig mit allen Körperstrukturen (und ganz ohne Zügelgegenhalt) möglich:

 

Beim balancierten Pferd verläuft die Wirbelsäule in sich gerade. Sie ist wie eine federnde „Stange“ vorne zwischen den Schulterblättern aufgehängt, und hinten mit dem Kreuzbein auf dem Becken aufliegend. Beim Pferd ohne Hankenbeugung liegt sie hinten etwas höher als vorne.

Die Brustwirbelsäule findet ihre vordere Verlängerung in der S-Form der frei beweglichen Halswirbelsäule. Beim balancierten Skelett ist die Halswirbelsäule in alle Richtungen ungehindert beweglich.

 

Die Beine stehen in senkrechter Achse unter dem Körper und können so den aufliegenden Körper ideal gegen die Schwerkraft tragen und befördern. Die Gelenke können sich nur in dieser Haltung ungehindert für die auf- und abfedernde Bewegungsweise beugen und strecken.

So sind Skelett und Muskulatur für ungehinderte Auf- und Abfederung, Sprung- und Tragfähigkeit justiert. Mit diesen federungsfähigen Beinen kann der Pferdekörper ungehindert transportiert werden in seinen physiologisch richtigen wellen- oder kurvenförmigen dreidimensionalen Auf- und Ab-Bewegungsbahnen.

Wichtig ist, daß in Balance jeder Schritt, Tritt oder Sprung für sich eine ruhige federnde abgeschlossene Einheit darstellt.

Im Balancezustand kann die Wirbelsäule ungehindert und im Gleichmaß mit diesen Bewegungen auf und ab und hin und her mitschwingen.

Wenn eben der/die Reiter*in nicht dagegenwirkt.

 

 

Elinor: Skelett aus der Balance

Drückt man dem Pferd aber in den Rücken, wie eben durch das tiefe schwere Einsitzen, so drückt das Pferd die Wirbelsäule samt Brustkorb nach unten bzw. nach vorne-unten weg. Dies ist der Fall bei Elinor.

Die vordere Verlängerung der Wirbelsäule, also der Hals, geht logischerweise dadurch nach oben. Die erhöhte Halshaltung bewirkt automatisch eine dazu schlüssig passende, hohe Kopfhaltung. Bis hin zum waagerecht in die Luft gestreckten Kopf von Elinor.
(Bei vielen Pferden ist in dieser Körperhaltung auch ein Unterhals sichtbar.)

Bilder: Mensch als "Pferd" - 1. schwingfähiger Rücken, 2. Reiter ist für Auf- und Abbewegung eingestellt und drückt nicht in die Wirbelsäule, 3. Reiter blockiert durch nach-unten-Einsitzen

 

 

Bei der hohen Halshaltung durch die tiefgedrückte Brustwirbelsäule kann der Pferdekopf nun nur noch durch deutlichen Zügelzug (Kandare! Sperrriemen! Schlaufzügel! etc.), und durch noch vermehrtes Gegensitzen (in Brustwirbelsäule und Brustkorb), in die erstrebte senkrechte Position gebracht werden.

Diese Kopfposition steht aber im absoluten Widerspruch zur restlichen Wirbelsäule und zum anatomischen Gesamtsystem. Das Genick ist blockiert, und so gibt der Hals meist an einer anderen Stelle nach: Der falsche Knick im Hals wird z.B. dadurch erzwungen.

 

All dies erzeugt starke Verspannungen im gesamten Muskel- und Fasziensystem, und anzunehmende Schmerzen für das Pferd.
Elinor versucht nun, eben dieser Verspannung und falschen Haltung komplett nach oben zu entkommen. Ihr Kopf und Genick sind auf diese Weise nun wenigstens passend zum restlichen verformten Körpersystem.

 

 
Weitere Auswirkungen auf Pferdekörper und Gangbild

 

Die Verschiebung der Brustwirbelsäule durch die Sitzweise setzt auch Trapezius, Halsbasis, Schulter und Vorderbeine unter schrägen Druck bzw. Zug. und blockiert dadurch ihre Bewegungsfreiheit:

 

Durch die schräge Belastung kann die Auf- und Abfederung des Körpers vom Boden nicht mehr losgelassen erfolgen, sondern muss mit Kraft und Verspannung vom Pferd geleistet werden. Viele Pferde zeigen dadurch Spanntritte und hohe Vorhandaktion. Aber auch flache gelaufene Gänge sind ein Symptom. Und oft stolpern Pferde deshalb auch.

 

In jedem Fall aber werden Gelenke und Sehnen fehlbelastet.

 

(Anstelle des gerundeten Trapezius sind oft Kuhlen zu sehen (die beim Balancieren der Körperhaltung sofort verschwinden. Der Trapezius ist hier zunächst nicht atrophiert, sondern er „versteckt“ sich „nur“.)

 


Durch den Druck in die Brustwirbelsäule wird ebenfalls die hinter der Reiterin liegende Wirbelsäule samt Becken (Hinterhand) nach oben gedrückt, was die Hinterbeine nach hinten herausdrückt. Tragkraft und Federung der Hinterhand sind dadurch einschränkt oder ganz verhindert. Das Pferd kann fast nur noch schieben. Das fehlende federnde und kraftvolle Tragen wird oft kompensiert durch ein vermehrtes Untertreten mit gestrecktem Hinterbein, aus dem Hüftgelenk heraus.

 

Die Pferde versuchen häufig, den unphysiologischen Wirbelsäulenanstieg durch eine Krümmung im Lendenwirbelsäulenbereich zu kompensieren, damit die Hinterhand wenigstens einigermaßen in federungs- und tragfähigem Bodenkontakt bleibt. Sie machen dabei einen Buckel in der Lendenwirbelsäule, der dem Karpfenrücken ähnelt.

 

Etliche Pferde kippen auch das Becken ab, was zwar die Hinterbeine wieder in besseren Bodenkontakt bringt, aber die Hankenbeugung in den Knie- und Sprunggelenken vermindert und die Federungs- und Tragkraft sehr vermindert. Das Iliosakralgelenk wird falsch belastet, und insgesamt werden auch alle Gelenke, Muskulatur und Sehnen der Hinterhand fehlbelastet. Dies führt zu verschiedensten Beschwerden, Arthrosen und Abnutzungserscheinungen. Abgesehen von den unbalancierten Gängen des Pferdes.

 

 
Körperhaltung und Gangbild

Wir sehen nun, dass es bei Elinor nicht nur um ein Körperhaltungsthema geht, sondern dass auch die Gänge der Stute durch die Körpersituation behindert und angespannt sind. Denn ihre Vorder- und Hinterbeine können durch die Verschiebung nicht mehr frei federnd arbeiten. Die Hinterhand kann sich nicht richtig beugen und dadurch weder federnd Last aufnehmen noch Sprungkraft entfalten.

Insgesamt ist also das ganze Pferd außer Balance und dadurch in Verspannung. Elinors Hals- und Kopfhaltung ist für den flüchtigen Blick schlichtweg das auffälligste Merkmal.

 

 

Elinors Kopf- und Halshaltung ist also nur ein Symptom, und kann nur durch eine Gesamtumformung des Pferdes korrigiert werden.

 

Eine isolierte Korrektur von Hals- und Kopfhaltungen ist nie möglich. Bei Korrektur von, egal welchen, einzelnen Körperteilen, und seien es auch nur kleinste, ist immer das gesamte Körpersystem zu justieren.

So wie bei einem Mobilé eben auch nicht nur ein Einzelbestandteil verändert werden kann.

 

 

Schlüsselstelle für die Hals- und Kopfhaltung von Elinor (und den meisten anderen Pferden) sowie für die gesamte Situation ist die tief gedrückte Brustwirbelsäule.

 

Damit liegt der Lösungsweg klar vor uns:

 

Wir müssen Elinor helfen, ihre Brustwirbelsäule wieder nach hinten-oben zurückzubringen und so wieder den geraden Verlauf der Wirbelsäule herzustellen. Das bedeutet, dass sie gleichzeitig ihren verschobenen Körper wieder senkrecht über ihre Beine zurückverlagern muss, um dadurch, ebenfalls gleichzeitig, ihren Hals wieder in die Tiefe, also nach vorne-unten, bewegen zu können.

 

Auf diese Weise werden Elinors Körper, ihr Hals und Kopf, und ihre Bewegungsfähigkeit wieder in Balance kommen.

 

 

Beginn: Lösende, balancierende Körperarbeit

 

Da Elinor sehr angespannt ist, gelingt dies zunächst mit ganz gezielter lösender balancierender Körperarbeit; vor allem an der Halsbasis, den Schultern und den Kiefergelenken ansetzend. Zunächst im Stand, dann im Gehen.

 

Für die „Befreiung“ der Kiefergelenke nehme ich den kombinierten Nasenriemen ab. Die engen Nasenriemen blockieren Elinors Maul und Kiefergelenk. Man braucht nur selbst fest die Zähne zusammenbeißen, um wahrzunehmen, dass feste Kiefergelenke den Nacken und den ganzen Körper fixieren und man auch nur noch flach atmet.

 

Für balancierte Beweglichkeit brauchen wir aber immer eine ganzkörperliche Geschmeidigkeit: Wenn sich der Hals von Elinor ändern soll, so muss sich der ganze Körper mitverändern (können!).

Bei balanciertem Körper, balancierter Bewegung und balancierter Reitweise ist üblicherweise sowieso kein Sperrriemen nötig, da nichts in den Zügel hineinschiebt oder darauf liegt.

 

Im Stand kann Elinor durch die Körperarbeit jetzt ihren Hals sinken lassen, und ich arbeite im Gehen mit ihr an der balancierten gelösten Kopf-, Hals- und Gesamtkörperhaltung weiter. Ich zeige ihr den Weg in die Tiefe und löse auch beim Gehen manuell ihre Kiefergelenks-, Hals- und Schultermuskulatur.

 

Die Körperarbeit gibt Elinor nun ein neues, balanciert befreites Körpergefühl im Stehen und im Gehen. Und mehr und mehr kann Elinor sich der Gelöstheit auch hingeben. Denn anfangs traut sie dem „Frieden“ noch nicht wirklich; ihr Körper hatte sich so sehr darauf eingestellt, sich zu schützen.

 

 

Balancierendes Reiten

 

Das gute Gefühl bekräftigen wir nun ebenfalls beim Reiten durch eine nicht-drückende, nicht-schiebende Reitweise, die Elinor weiter zu Balance und Beweglichkeit anleitet.

 

Auch beim Reiten wird nun Elinors Brustwirbelsäule durch einen, dies ermöglichenden Sitz und entsprechende Hilfestellung der Reiter*in, eingeladen, wieder in die normale waagerechte Position zurückzukehren.

 

Und schon innerhalb der ersten Kursstunde geht Elinor bereits mit tiefer Hals- und Kopfhaltung unterm Sattel.

 

Zuerst reite ich Elinor, um sowohl ihr als auch ihrer zuschauenden Reiterin die Idee zu geben. Dann übernimmt Katharina. Noch suchen Reiterin und Pferd ein wenig, da sie sich außerhalb ihrer langgeübten Automatismen und Gewohnheiten noch nicht sicher sind.

 

Doch innerhalb der zwei Tage des Kurses haben Pferd und Reiterin aus ihrem Teufelskreis heraus und zu gelöster Haltung und Bewegung gefunden.

 

 

Bewegungsabläufe und Gänge in Balance

 

Während Elinor zur Balancehaltung zurückbegleitet wurde, war natürlich genauso wichtig, dass auch ihre (pferdespezifischen) Bewegungen in allen Gangarten richtig ablaufen konnten. Denn nur mit ihnen bleibt die Balance des Körpers erhalten:

 

Körperhaltung und Bewegungsabläufe sind immer eine untrennbare Einheit.

Sowohl die balancierten, als auch die Vielfalt an unbalancierten Körperhaltungen, Gängen und Bewegungsweisen.

 

Es liegt absolut an uns, welchen Gang und welche Körperhaltung des Pferdes wir mit unserer Reitweise und auch unserer Führ- und Longierweise verursachen.
Es liegt an uns, dem Pferd zu Balance und freien gelösten Bewegungen zu verhelfen. Durch unsere spürende Wahrnehmung, unser Vorbild und unsere helfende Anleitung.

 

Wenn wir die balancierte Körperhaltung und Bewegungsweise der Pferde als Vorbild nehmen, dann erschließen sich daraus der richtige balancierte „Sitz“ (der kein Sitzen ist) und eine hilfreiche Hilfengebung (Hilfestellung) für das Pferd eigentlich fast von selbst.

 


 

"Wenn du wissen willst, wie ein Pferd geritten werden sollte, dann schaue dir an, wie es sich selbst frei bewegt, wie es schreitet, trabt und galoppiert…. Schau genau hin und erkenne die Schönheit, den Rhythmus und die Harmonie seiner Bewegung. Dann setze dich hin und schließe die Augen und versuche, diese Bilder von müheloser Eleganz, Schönheit und Harmonie fest in deinem Gedächtnis und deinem Herzen einzuprägen. Vergiß es niemals. Denn so sollst du dein Pferd reiten.
Erhalte seine natürlichen Bewegungen. Erhalte seine Persönlichkeit. Erhalte seinen Vorwärtsdrang. So wirst du Erfolg haben, denn du respektierst die Natur. Gib ihm sein natürliches Gleichgewicht, auch mit deinem zusätzlichen Reitergewicht, zurück. Dies ist der Kern der Ausbildung……"

Franz Mairinger (1915 -1978)

ehemaliger Bereiter der spanischen Hofreitschule, Trainer des australischen Olympia-Teams

 


  

 

 

 

 

 

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